Es gibt nicht wenige Philosophinnen und Philosophen, die mittlerweile eine hohe Medienpräsenz haben. Von Richard David Precht über Susan Neiman, Bettina Stangneths, Markus Gabriel bis hin zu Peter Sloterdijk oder Slavoj Žižek. Neben der Philosophie als Ratgeberin für das tägliche Leben, werden sie auch gerne zu den großen gesellschaftlichen Fragen und möglichen Antworten befragt. Doch wie steht es um die Philosophie als Ursprung der Probleme, die wir aktuell beobachten? Die Philosophie als Ursprung allen Übels?
Was war Marx anderes, als ein Wirtschaftsphilosoph? Adam Smith? Ein Moralphilosoph der sich mit den Wohlstandsfragen der Gesellschaft beschäftigte. Politische Ökonomie. Hayek, Friedman, Keynes, Platon, Aristoteles. Ökonomen oder Philosophen? Die Grenzen waren stets fließend. Doch waren es zumeist diese und andere einflussreichen Männer (neben Ayn Rand als Frau), die den geistigen Überbau über unsere Sichtweisen auf Wirtschaft, auf Märkte, auf unternehmerisches Handeln und die Aufgaben von Politik und Wirtschaft prägten. Aus ihren „Philosophien“ wurden sehr praktische, in Gesetze gegossene Ableitungen für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gegossen. Durch philosophisches Denken wurden Rahmen gesetzt, deren real-politische Ableitungen es bestimmten Formen des Wirtschaftens leichter machten, als anderen.
Es wird häufig vergessen, dass das kapitalistische Wirtschaften lediglich eine bestimmte Ausprägung wirtschaftlichen Denkens und Handelns ist. Eine sehr macht- und kraftvolle allerdings. Bislang. Viele Theoretiker und Praktiker kommen im Angesicht der großen Herausforderungen (Klimawandel, Migrationen, China vs. USA etc.), vor denen wir stehen an den Punkt sich zu fragen, ob wir uns als Gesellschaften neu erfinden können. Wie können wir den Horror wieder einfangen, den wir mit unserem philosophisch-wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Denken auf den Planeten losgelassen haben – mit den Resultaten des Massensterbens, des Klimawandels etc.
Es ist immer schwer, sich etwas Neues vorzustellen, wenn man nie wirklich etwas anderes kennengelernt hat. Genau diese Grenzen des Vorstellbaren sind es aber, die mich faszinieren. Wenn die großen Herausforderungen womöglich genau das brauchen: Jenseits des Bestehenden zu denken und zu handeln, um wirklich Neues in die Welt zu bringen. Es stellt sich die Frage, wie uns das gelingen kann. Und vor allem stellt sich die Frage nach den Grenzen unseres Vorstellungsvermögens.
Womöglich können wir dem real gewordenen, zerstörerischen Grauen nur Entkommen, wenn wir uns auch mit dem Horror der Philosophie jenseits unseres Vorstellungsvermögens beschäftigen. Vielleicht sind es eher die Philosophien, die sich mit dem Undenkbaren, befassen, die uns heute noch helfen können. Womöglich liegt in dem Undenkbaren eine Antwort auf die Frage nach der Vermeidung der undenkbaren Katastrophe.
Welt-ohne-uns
Eine der Inspirationsquellen für meine Gedanken und Geschichten auf trrlblbty sind die Texte des amerikanischen Philosophen Eugene Thacker. Bislang wurde nur eines seiner Bücher ins Deutsche übersetzt: In the Dust of This Planet (2011) – Im Staub dieses Planeten (Horror of Philosophie Vol. 1).
Thacker verfolgt dabei den Ansatz, das Horror-Genre auf seine impliziten und expliziten Philosophien hin abzuklopfen:
„Die Welt wird zunehmend undenkbar – eine Welt der planetaren Katastrophen, aufkommenden Pandemien, tektonischen Verschiebungen, seltsamen Wetterphänomenen, ölgetränkte Meereslandschaften und der stets im Hintergrund lauernden Gefahr des Aussterbens. Ungeachtet unserer täglichen Sorgen, Wünsche und Begehren wird es immer schwieriger, die Welt, in der wir leben und deren Teil wir sind, zu begreifen. Sich mit dieser Idee auseinanderzusetzen bedeutet, an eine absolute Grenze dessen zu stoßen, was wir überhaupt über die Welt verstehen können – eine Idee, die seit Langem ein zentrales Motiv des Horrorgenres ist.“
Thacker weist darauf hin, dass sich die Menschheit bislang im wesentlichen dreier Welterklärungsmuster bedient hat: einer mythischen, einer theologischen und einer modernen, existenziellen. Nach diesen Erklärungsweisen scheinen wir auch heute noch zu leben: „Das Mythologische ist zum Stoff der Kulturindustrie geworden, die mit großem Budget computergenerierte Filme und Waren ersinnt; das Theologische ist in die politische Ideologie und den Fanatismus religiöser Konflikte diffundiert [Wozu ich auch die Konflikte zwischen den Markt- /Staats-Gläubigen zählen würde, Anm. des Verfassers]; und das Existenzielle wurde zu Selbsthilfe und Konsumtherapie umfunktioniert.“
Gemeinsam haben all diese Interpretationslinsen ein humanzentriertes Weltbild. Es geht in ihnen im Wesentlichen um die Welt-für-uns. Doch es gibt eine Welt außerhalb dieser Welt-für-uns. Die Welt-an-sich. Oder, wie der Natur-Philosoph David Abram sie nennt: die mehr-als-menschliche Welt. Die Welt der anderen Spezies, der Pflanzen, der Berge, Meere und ihrer eigenen Logiken und Gesetzmäßigkeiten. Eine Welt, die zurückbeißt, so wie wir es zunehmend zu spüren bekommen.
Doch zum Zurückbeißen braucht es ja immer noch uns, die die scharfen Zähne zu spüren bekommen. Und so gibt es da noch eine dritte Welt. Die Welt vor der Bewusstseinswerdung des Menschen, die Welt, die es womöglich einmal geben wird, wenn sich die Lebensbedingungen für uns weiterhin zum Schlechten entwickeln: Eine Welt-ohne-uns.
„Die Welt-ohne-uns kann nicht mit der menschlichen Welt-für-uns koexistieren; die Welt-ohne-uns ist die Subtraktion des Menschen von der Welt.“ Diese Welt kann es vor oder nach uns geben – aber vielleicht existiert sie auch parallel. Eine Welt-ohne-uns, die uns nicht braucht für ihre Existenz. Die uns beobachtet, durch uns hindurch existiert, uns ignoriert, oder womöglich gar nicht wahrnimmt. Es sind „[…] die Genres des übernatürlichen Horrors und der Science Fiction, in denen wir die häufigsten Versuche finden, den schwierigen Gedanken der Welt-ohne-uns zu denken und sich ihm zu stellen.“
Warum sollte es irgendeine Relevanz haben, sich etwas vorzustellen, was über die Grenzen unserer Vorstellungskraft hinausgeht? Wie sollte das überhaupt möglich sein?
Zum einen dürfte es klar sein, dass wir nur an diesem Ort wirklich frisches (Nicht-)Denken und neue Perspektiven/Wahrnehmungsweisen von Welt finden können und mit ihnen auch wirklich neue Antworten auf unsere Probleme. Probleme, die wir im Übrigen bislang weiterhin mit dem Denken zu lösen versuchen, das die Probleme erst geschaffen hat.
Der Ansatz besteht darin, „die Suche nach einem imaginären Ort des Nichtmenschlichen in der Welt „da draußen“ einzustellen und die abgedroschene Dichotomie von Ich und Welt, Subjekt und Objekt abzulehnen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Wäre es möglich, zusätzlich zum mythologischen (klassisch, griechisch), theologischen (mittelalterlich christlichen) und existenziellen (modernen europäischen) Deutungsrahmen eine weitere Position einzunehmen, die wir nur als kosmologisch bezeichnen können?“